Erfindung des Schneeberges

Der Ursprung des Bergbaues am Schneeberg verliert sich im Dunkel der Geschichte. Eine Tatsache, die auf einen sehr frühen Beginn der Bergbautätigkeit mit darauffolgenden längeren Unterbrechungen hinweist. In keiner der schriftlichen Quellen findet man klare Angaben zum Beginn der Bergbautätigkeit, die Autoren verweisen, je nach Forschungsstand, lediglich auf verschiedene Jahre (1479, 1402, zuletzt 1237), in welchen der Bergbau am Schneeberg nachweislich bereits bestand.

Bereits 1565 interessierte Georg Fabricius in seinem Bergbuch „lter Chemnicense“ die Frage nach dem Entdecker der Silberadern am Schneeberg, welche er in folgenden lateinischen Reim fasste: „Quis vero argenti venas in montibus illis eruit inventas, quas nunc Stercingia tellus Suaciacis similes gremio de divite fundit?" übersetzt: „Wer aber hat die in jenen Bergen gefundenen Silberadern ausgegraben, die jetzt die Sterzinger Gegend ähnlich wie die von Schwaz aus ihrem reichen Schoße hervorbringt?"

Der Schneeberg mit seiner Höhenlage, in welcher sich die Erzadern erst ab der Meereshöhe von 2.000 Metern bis hinauf auf über 2.500 Meter durch den Berg ziehen, verbirgt seine Schätze nicht so stark wie andere, tiefer gelegene Lagerstätten. Bedingt durch den geringen Pflanzenwuchs in der Hohe und die Felsen, welche durch die Steilheit des Geländes und die Abtragungen der eiszeitlichen Gletscher vielfach frei liegen, findet man auch heute noch Erzbrocken, Erzadern oder Spuren abgebauter Erzadern, die Stollen, relativ leicht.

Die Stelle, an der eine Erzader an die Oberfläche kommt, nennt der Bergmann Ausbiss oder auf Grund der rostigen Färbung auch Eisernen Hut. Viele der Erzadern am Schneeberg beißen aus. An solchen Stellen hat man zufällig oder nach gezielter Suche das Bergwerk erfunden. Die entdeckten Adern konnten in den Berg verfolgt und abgebaut werden. Nimmt man eine unscheinbare, rostigbraune Erzstufe (Erzbrocken) eines dieser Ausbisse in die Hand, so spürt man bereits das vergleichbar höhere Gewicht im Verhältnis zum umliegenden, nicht vererzten Gestein. Schlägt man einen Erzbrocken auseinander, was in der Praxis oft nicht einfach ist, so glitzert dem Betrachter, begleitet von einem starken Schwefelgeruch, das Erz entgegen: Bleiglanz, Zinkblende, Kupferkies, meist aber eine enge Mischung von Erzen und Begleitgestein. Neben diesen frei liegenden Ausbissen gibt es auch andere, welche von Erdreich zugedeckt sind. Doch auch in diesem Fall bietet die Natur aufmerksamen Beobachtern gute Hinweise. Obwohl das Pflanzenkleid am Schneeberg sehr dünn ist, besiedeln doch widerstandsfähige Gräser und Blumen im Konkurrenzkampf untereinander das Gelände. Nur wenige der Pflanzen kommen jedoch zusätzlich mit dem hohen Schwermetallanteil im Boden über Ausbissen oder auf späteren Abraumhalden zurecht. Am Schneeberg sind das vor allem das Alpenleinkraut (Linaria alpina), die Alpenmiere (Minuartia gerardii), das Einblütige Hornkraut (Ceriasticum uniflorum) und der Rote Steinbrech (Saxifraga oppositifolia). Schon früh waren Bergfachleute in der Lage, vom auffallend starken Vorkommen der genannten Zeigerpflanzen (Indikatoren) auf darunterliegende Erzvorkommen zu schließen.

Es stellt sich die Frage, ob am Schneeberg nicht bereits in der Vorgeschichte, das heißt, vor Beginn unserer Zeitrechnung, Erz abgebaut worden ist. Viele Hinweise sprechen dafür, fanden jedoch in der bisherigen Schneeberg-Forschung zu wenig Beachtung. Silber-, Blei- und Zinkerz wurden als nacheinander abgebaute Haupterze beschrieben und erforscht. Auf das Kupfererz, welches in verschiedenen Bereichen des Schneebergs massiv vorkommt, wurde kaum eingegangen. Dass das Kupfer in Form von Kupferkies (CuFeS) und dem Umwandlungsmineral Malachit (Kupferkarbonat) auch abgebaut wurde, beweisen eindeutig die primitiven Kupferlöcher in der Südwand des Himmelreiches. Andere Erze, außer kupferhaltige, kommen dort nicht vor. Im September 1999 startete ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universität Innsbruck, geleitet vom Institut für Hochgebirgsforschung unter Professor Gernot Patzelt. Ein erklärtes Ziel ist dabei die Erforschung des Ursprungs des Bergbaues am Schneeberg. Bei einer ersten Begehung wurden neben mehreren Splittern aus Feuerstein, kalzinierten Knochen, Holzkohle und Holzteilen vor allem in den Kupferlöchern im Himmelreich Spuren uralter Bergbautechnik entdeckt, als man noch mit einfachen Holzkeilen Erzbrocken vom Muttergestein sprengte. Besondere Erwartungen setzt man in die Bestimmung der Pollen, welche im Torf des Hochmoores in Seemoos am Schneeberg seit Jahrtausenden konserviert sind. Erkenntnisse verspricht man sich zudem von der Untersuchung der Schlackenteile der ehemaligen Schmelzöfen bei St. Martin und im Himmelreich, welche bereits bei oberflächlicher Betrachtung aufgrund der Färbung einen hohen Kupferanteil erahnen lassen und in einer früheren Bestimmung durch die Universität Innsbruck als Bronzeschlacke bezeichnet wurden. Bis auf die Gewissheit, dass der Bergbau am Schneeberg auf jeden Fall viel weiter zurückgeht, als bisher angenommen wurde, was die ersten Untersuchungsergebnisse bestätigen, ist die Zeit noch nicht reif, um eine endgültige Aussage zu treffen. Auf jeden Fall stehen im Rahmen der laufenden Untersuchungen noch viele Überraschungen bevor. Vielleicht kann eine dieser erwarteten Überraschungen sogar zu einer kleinen Sensation werden, wenn man bedenkt, dass die Herkunft des Kupfers für die Axt des Ötzi bis jetzt noch nicht bestimmt ist. Die Fundstelle des Mannes aus dem Eis liegt nur etwa 25 km Luftlinie vom Schneeberg entfernt. Am Schneeberg lag Kupfererz schon immer auch an der Oberfläche, und die Urwege zwischen den Siedlungen führten über hohe Jöcher und Bergübergänge. Alle weiteren Schlüsse gehören jedoch bis jetzt ins Reich der Spekulation.

Der Bergkamm, welcher den Bergkessel des Schneebergs im Südosten begrenzt, wird seit jeher als Himmelreich bezeichnet. Zum Ursprung der Bezeichnung gibt es keine Überlieferung. ln der felsigen Südwand des Himmelreichs wurden bei mehreren Begehungen im Herbst 1999 fünf etwa fünf bis sechs Meter tiefe, horizontale Kupferstollen entdeckt. Auffallend ist der relativ große Durchmesser von bis zu zwei Metern, welcher einen zum Arbeiten ausreichenden Tageslichteinfall garantiert, das Fehlen von Schrämmspuren, wie sie in mittelalterlichen Stollen ausnahmslos vorhanden sind, und der eindeutige Nachweis der Abbautechnik mit Holzkeilen. Dabei wurden mehrere trockene Holzkeile nebeneinander in Gesteinsritzen getrieben und anschließend mit Wasser begossen. Durch den Druck des natürlichen Aufquellens des Holzes lösten sich die entsprechenden Erzbrocken langsam vom Muttergestein.

"Einst zog ein Jäger aus dem Passeiertal zum Schneeberg, um dort Gämsen zu jagen. Als er in Seemoos, auf einem Felsblock ruhend, die umliegenden Grate nach dem Wild abäugte, sah er am Ufer des stillen Alpsees eine Salige sitzen, angetan mit silberschimmerndem Kleid, so weiß und glänzend wie die umliegenden Firne. Sie winkte den Jäger zu sich und zeigte ihm funkelndes Edelgestein, das in ihrem Schoß lag. All die Schätze wollte sie dem Jäger geben und ihm deren Fund-stelle zeigen, wenn er ihr verspreche, abzulassen von der weiteren Verfolgung des unter ihrem Schutz stehenden Wildes. Sie forderte, dass er seine Armbrust vernichte und schwöre, in Zukunft nicht mehr auf die Jagd zu gehen. Der Jäger zerschmetterte seine Armbrust und leistete den Schwur. Die Salige zeigte sodann dem Jäger in den Felsen Spalten voll edlem Silbererz. Sie drohte ihm aber auch mit schwerer Strafe, wenn er seinen Schwur brechen würde, und ebenso plötzlich war sie dem Auge des Jägers entschwunden. Bald zogen mit dem Jäger Bergknappen auf die unwirtlichen Bergeshöhen. Stollen um Stollen wurden eröffnet, und überall fand sich reiches Erz, das in schwerer Menge zu Tal gebracht wurde. Während der strengen Wintermonate ruhte die Arbeit; sobald aber der Föhn das Eis brach, zogen stets vermehrt Knappenscharen nach dem erzreichen Schneeberg, auf dem bald ein ganzes Dörflein erstand. Der Jäger wurde sehr reich und hatte alles, jedoch in seinen alten Tagen erwachte wieder die Jagdlust in unbezähmbarer Kraft; er verfertigte sich eine neue Armbrust mit starker Sehne und erlegte damit, ohne an den geleisteten Schwur zu denken, an einem Sonntag einen prächtigen Gamsbock. Doch die Strafe folgte sogleich. Ein Felsblock löste sich von der Wand und zermalmte den Frevler unter seinem Sturz. Als aber die Knappen am anderen Tag wieder zur Grube kamen, fanden sie kein Silber, sondern wertloses Blendegestein, das sich nicht schmelzen ließ." (erzählt nach Heilfurth und mündlicher Überlieferung)

Wagt man sich unter sämtlichen Vorbehalten an die heikle lnterpretation des wahren Kerns dieser Sage, so weist sie jedenfalls in eine Zeit, als lediglich das Silbererz für den Abbau wirtschaftlich interessant und verwertbar war. Um es vorwegzunehmen, es ist die Zeit vor 1450. Im Jahre 1237, als Schneeberger Silber zum ersten Mal als Zahlungsmittel erwähnt wurde, war dieser ausschließliche Silberabbau sicherlich gegeben. Das Ende der Silberblütezeit wird jedoch bereits um das Jahr 1360 vermutet. Auf jeden Fall verlief der Silberabbau am Schneeberg nach anfänglicher Begeisterung nicht sehr zufriedenstellend und es gab bis herauf ins 15. Jahrhundert eine längere Unterbrechung der Bergbautätigkeit, was auch die fehlenden schriftlichen Quellen erklärt.

Wieso das Silber in den Erzadern am Schneeberg plötzlich zurückging, was in der Sage als gerechte Strafe für den gebrochenen Schwur des Jägers erklärt wird, hat jedoch eine handfeste naturwissenschaftliche Erklärung. Das Silber, welches in geringer Beimengung in allen Erzadern am Schneeberg vorhanden ist (durchschnittlich 1 kg pro Tonne), hat sich in den Jahrmillionen durch das Wasser im Berg ausgewaschen und am Ausgang (Ausbiss) der Erzadern angereichert. Wissenschaftler sprechen von der sogenannten Zementation. Dadurch fanden die ersten Knappen am Schneeberg anfänglich überaus reiche vermeintliche Silberadern vor, welche jedoch bereits nach wenigen Metern, oft auch nur Dezimetern, stark verarmten, bis eben das in der Sage genannte wertlose Blendegestein übrig blieb, welches in der damaligen Zeit nicht verwertbar war.

„In Saltnus in Passeier lebte ein dienstfertiges Nörglein, das nicht viel größer als ein Tannenzapfen war. Man durfte das Getreide nur in die Mühle stellen, so mahlte es dasselbe nach Wunsch. (...) Da der Bauer sah, dass das Röcklein des Zwerges ganz löchrig und zerrissen war, ließ er ihm ein neues machen und trug es in die Mühle. Als das Nörglein sein neues Kleid sah, fing es an zu weinen und klagte: Jetzt muss ich mit meinem neuen Gehüder und Gezüder ins Ötztal hinüber! Mit diesen Worten entfernte es sich und kam nie wieder. Hätte man das Nörgl so lange unbelohnt gelassen, bis ihm das Gewand vom Leibe gefallen wäre, wäre es erlöst gewesen." (Zingerle)

Neben der Sage von der Erfindung des Schneebergs gibt es im Hinterpasseier und Ridnaun eine auffallende Häufung von Norggensagen. Norggen, verkleinert auch Nörggeler genannt, entsprechen den Zwergen oder Kobolden in anderen Gegenden. Die Bezeichnung leitet sich vom Orcus, dem Beherrscher des Totenreiches ab. Sie gelten als unerlöste Totengeister und gehören der rätoromanischen Sagenwelt an. In den zahlreichen Sagen zeigen sie sich sehr hilfsbereit und besorgen den Bauern verschiedene Arbeiten, vorzüglich das Mahlen des Getreides in den Mühlen. Werden sie jedoch gereizt, kennt ihre Bosheit keine Grenzen oder sie verschwinden.

Auffallend sind die Parallelen im Bild der Zwerge zu den Knappen des frühen Mittelalters. Für die Arbeit in den niedrigen Stollen eigneten sich klein gewachsene Männer und diese kamen vielfach aus fremden Gegenden. Zur typischen Arbeitsbekleidung gehörte neben dem Arschleder auf jeden Fall die Zipfelkappe. Diese diente einerseits als Schutz gegen die von oben durchsickernde Nässe in den Stollen, andererseits aber auch als Sensor, um bei der schlechten Beleuchtung in den niedrigen Stollen, vorgewarnt durch das Zurückbiegen der Stoffkappe, das Anstoßen des Kopfes zu vermeiden. Es liegt daher auf der Hand, dass das Bild der Norggen, Kobolde, Zwerge (auch Gartenzwerge) von den frühen Bergknappen übernommen und in Märchen und Sagen mit übernatürlichen Eigenschaften angereichert wurde. Das klassische Beispiel in Südtirol ist die bekannte Sage vom Zwergenkönig Laurin, welcher im Rosengarten seine Schätze hütet, sich in die schöne Königstochter verliebt, diese in sein Zwergenreich entführt und schließlich alles an den Germanenfürsten Dietrich von Bern (das alte Verona) verliert. Den geschichtlichen Hintergrund bildet die Zeit der Völkerwanderung mit den Konflikten zwischen den einheimischen Rätoromanen und den eindringenden Germanenvölkern. Ein Spannungsfeld, das auch im Hinterpasseier und im Ridnauntal nachweislich bis ins 13. Jahrhundert bestand, was noch heute die vielen übriggebliebenen rätoromanischen Flurnamen bezeugen.