Der Schneeberg wird italienisch

Antonia Heel (St. Leonhard) erzählt:

“Mein Mann (Vinzenz Heel) ist auch lange auf dem Schneeberg gewesen. Er hat immer erzählt, dass da einer von den Italienern oben gewesen ist, der ganz gotteslästerlich geflucht hat, weil ihm alles nicht gepasst hat und weil er so lange nicht heimgekommen ist. Der hat sich auf den Rücken gelegt, gewälzt und zum Himmel gespien, zum Herrgott, und geflucht, was nur gegangen ist, die längste Weile. Dann vor Weihnachten hat er endlich Urlaub gekriegt und da ist er noch nach der Schicht, beim Zunachten weg und wollte herunter, obwohl es gestürmt und geschneit hat. Die anderen haben schon gesagt, er solle bis zum anderen Tag warten und mit ihnen heruntergehen, aber er hat nicht darauf gehört. Man hat dann nichts mehr von ihm gehört - und gekommen ist er auch nicht mehr. Oben haben sie sich gedacht, er wird schon nicht mehr heraufkommen - und unten werden sie gemeint haben, dass er keinen Urlaub gekriegt hat. Im Frühjahr ist er dann in Seemoos neben dem Weg ausgeapert - auf dem Rücken liegend, wie er immer geflucht hat. Seit der Zeit hat man es dann auf Seemoos klopfen gehört, wie wenn einer arbeiten würde, aber es war keiner da. Das hat auch mein Mann gehört und ist dem Klopfen nachgegangen, aber dann war es wieder an einer anderen Stelle. Da haben sie dann verstanden, dass es der Italiener ist, der büßen muss.”

Trotz der österreichischen Niederlage im ersten Weltkrieg und der Friedenskonferenz von Saint Germain bei Paris war es eigentlich nichts Besonderes, als sich am 21. August 1919 die ersten italienischen Soldaten des 5. Alpinibataillons, 160. Kompanie, artig mit dem Zusatz: “per servizio” (im Dienst) in das damals bereits viersprachige Gästebuch am Schneeberg einschrieben. Es hatte auch bereits unter Österreich eine zahlreiche Italienerkolonie am Schneeberg gegeben, jetzt aber war das gesamte Bergwerk italienischer Staatsbesitz - und das war etwas Besonderes. Den habsburgischen Vielvölkerstaat gab es nicht mehr. Die Befugnisse des Bergamtes in Klausen gingen auf das Bergamt in Trient über. Der Staat als Besitzer verpachtete die Anlage an nach und nach wechselnde Gesellschaften.

Im beginnenden Faschismus mit dem erklärten Ziel, Südtirol zu italianisieren, wurden alle deutschsprachigen Beamten entlassen und durch Italiener ersetzt. In Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit waren bald auch die einheimischen Arbeitskräfte auf einen geringen Prozentsatz der Gesamtbelegschaft zurückgegangen. Mitgliedschaft in der faschistischen Einheitspartei und Italianisierung der Vor- und auch Zunamen waren unausgesprochene Zulassungsvoraussetzungen. Nationalistische Benachteiligungen standen an der Tagesordnung.

Mit der Abtrennung Südtirols von Österreich gab es am Schneeberg einen schmerzhaften Riß in der Geschichte. Mit jedem gehenden Knappen und jeder Knappenfamilie, welche zum Teil über Generationen mit dem Bergwerk in verbindung gestanden waren und sich als “Schneeberger” fühlten, verschwand auch der alte Schneeberg, der in Berichten von Erinnerungsträgern nostalgisch fast nur als “gute alte Zeit” geschildert wird. Bergmännische Standesgliederung, Uniformen, Sprache, Feiertage, Bräuche, Musik, Privilegien, Überlieferungen, Stollen- und Geländenamen sowie die vielfältigen Verbindungen zu den umliegenden Tälern und dem nördlichen Teil Tirols verschwanden oder wurden durch die nahe Staatsgrenze unterbrochen.

Da die österreichischen Bergbehörden ihrerseits auch nicht zur Zusammenarbeit mit den italienischen Nachfolgern bereit waren, blieb ein wesentlicher Teil des über Jahrhunderte gesammelten Wissensschatzes über die Lagerstätte nicht mehr zugänglich oder musste erst wieder mühsam erarbeitet werden.

Der neue, italienische Monteneve (Schneeberg) wurde zu einem Bergwerk ohne Knappen im traditionellen Sinn. Die italienischen Arbeiter wurden von den seltenen Arbeitsplätzen angelockt, ohne zu wissen, was sie erwartete. Zum großen Teil waren sie von den Lebensbedingungen am Berg und unter Tage überfordert, was eine durchschnittliche Verweildauer von etwa einem halben Jahr belegt. Das tragende Rückgrat der Belegschaft blieben, trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit, die verbliebenen Knappen aus dem Ridnaun und Passeier, was mit der Zeit auch von der Werksleitung anerkannt wurde.